Welche Rolle Objekte, Komplimente, Betreuungspraxis und Leistungsdarstellung in Situationen der Promotionsbetreuung spielen, zeigen die Ergebnisse des Projekts „Bewertungspraktiken in Lehr-/Lernsettings der Promotionsbetreuung“!
Im Rahmen der Veränderung von Promotionswegen hat sich auch eine Vielzahl möglicher Formen, wie Betreuung von Promovierenden stattfindet, entwickelt: Im Einzelgespräch zwischen Promovierenden und Betreuungspersonen, in einer Gruppe mit mehreren Promovierenden und mehreren Personen, die in irgendeiner Form die vorliegenden Arbeitsergebnisse kommentieren. Es gibt Gespräche zwischen Tür und Angel, aber natürlich auch solche, die intensiv vorbereitet werden und in denen sich die Beteiligten sehr konzentriert dem Forschungsvorhaben widmen. In solchen Begegnungen findet vor allem das statt, was mit „Forschen-Lernen“ gemeint ist.
Das Projekt „Bewertungspraktiken in Lehr-/Lernsettings der Promotionsbetreuung“ (BiLL)
Gefördert von 2018 bis 2021 vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur wurde das Projekt in Kooperation zwischen der Universität Osnabrück und der Universität Hildesheim durchgeführt.
Das Ziel des Forschungsprojekts war es, die Bewertungspraktiken in den unterschiedlichen Lern- und Lehrsettings der Promotionsbetreuung zu untersuchen und somit den Prozess des Forschen-Lernens während der Promotionszeit besser zu verstehen. Dazu sollte sich in der Studie mit konkreten Betreuungsinteraktionssituationen auseinandergesetzt werden, in denen die Promotion eben nicht nur als materiell schriftliches Objekt behandelt wird, sondern auch als Arbeits- und Lernprozess. Es ging in dieser Studie also nicht um die finale Bewertung der Promotionsarbeit am Ende des Promotionsprozesses. Im Zentrum stand die Untersuchung und die direkte Erhebung in den unterschiedlichen Betreuungssituationen.
Auf der Grundlage der erhobenen Daten sollten zum einen die generellen Bewertungspraktiken in der Promotionsbetreuung herausgearbeitet werden. Zum anderen sollten auf diese Weise auch rekonstruiert werden, welche weiteren „typischen“ Probleme des Promotionsprozesses in den Bewertungspraktiken ‚nebenbei‘ verhandelt und gelöst werden.
„Im Gegensatz zum Gros der Promotionsforschung, die eher evaluativ-quantitativ vorgeht und den Fokus auf die ‚äußeren‘ Promotionsbedingungen legt, haben wir uns konkrete Interaktionen angeschaut“, bringt Roman Felde die Besonderheit des Projektes auf den Punkt.
Im Zuge der Auswertung wurden vielfältige Aspekte der Betreuung und Bewertung herausgestellt, was auf die unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen und Perspektiven auf das gemeinsame Material rückzuführen ist. Diese Vorgehensweise stellte sich als Gewinn für eine umfassendere Erschließung des Datenmaterials heraus. So konnten auch die verschiedenen Situationen der Promotionsbetreuung näher betrachtet werden und nicht nur Ergebnisse auf Ebene der Bewertungspraktiken verzeichnet werden.
Welche Rolle nehmen Objekte, Komplimente, Betreuungspraxis und Leistungsdarstellung in Situationen der Promotionsbetreuung ein?
Bewertungsobjekte und Zeigepraktiken
Durch die videogeschützten Aufnahmen der Betreuungssituationen, konnten typische Interaktionen und Zeigepraktiken, die sich mit verschiedenen Objekten – Poster, Präsentationen und Texten – ergeben haben, betrachtet werden. Die Promovierende begegnen mit ihren Objekten in Betreuungssituationen nicht nur Bewertungs- und Zeigepraktiken, sondern wenden auch selbst unterschiedliche Praktiken an. Welchem Zweck dienen die Objekte im jeweiligen Setting und welches Potenzial haben die jeweiligen Objekte?
„Das Potenzial des Posters zeigt sich gerade in seiner Beschränkung des zur Verfügung stehenden Platzes, während sein Zweck darin liegt, Sichtbarkeit zu erzeugen, sich zu präsentieren und Werbung für sich und das eigene Forschungsvorhaben zu machen“, schreibt Svea Korff in ihrem Beitrag.
Für jedes Objekt steht am Ende eine zusammenfassende Einordnung, in der die Objekte nach ihrem Zweck, Potenzial und möglicher Interaktivität etc. beschrieben werden.
Komplimente
Im erhobenen Datenmaterial ließ sich eine spezifische Form der Bewertung ausmachen und zwar in Form von Komplimenten, die die Promovierenden erhielten. Komplimentiert wurde sowohl durch die Betreuungspersonen als auch durch andere Promovierende. Daniela Böhringer beschreibt in ihrem Beitrag das Potenzial von Komplimenten. Ihrer Ansicht nach wird vor allem deutlich, dass es sich nicht zwangsläufig um eine positive Beurteilung der eigentlich erbrachten Leistung handelte, sondern die Komplimente sich vielmehr als Höflichkeitsform beschreiben lassen, welche die Interaktionsordnung steuern. Denn:
„Komplimente müssen angenommen werden, eine Reaktion ist erforderlich, aber sie scheint nicht leicht realisierbar zu sein und fällt in der Regel minimal aus“.
Durch die Adressierung von Komplimenten kann konversationsanalytisch gezeigt werden, dass das Rederecht auf Seiten der Person bleibt, die das Kompliment ausspricht und entsprechende Reaktion der Promovierenden nur in diesem ‚wohlwollenden‘ Rahmen zugelassen werden.
Betreuungspraxis: Formalisierung und Autorität
Es konnten zwei unterschiedlichen Betreuungstypen herausgearbeitet werden: der autoritäre und der formalisierte Betreuungstypus. Der autoritäre Betreuungstyp zeichnet sich durch die Schaffung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Promovierenden und Betreuenden und durch den Einsatz von Belohnungen und Bestrafungen in der Interaktion aus. Hingegen lässt sich beim formalisierten Betreuungstyp eine sehr starke Durchsetzung von bürokratischen Vorgaben ausmachen, anhand derer die Betreuungspraxis ausgerichtet ist. Die rekonstruierten Betreuungstypen stehen dabei für zwei unterschiedliche Weisen des Umgangs mit einer für die Promotionsbetreuung grundlegenden Spannung: der Spannung, die Promovierenden stets gleichzeitig als autonom und betreuungsbedürftig behandeln zu müssen.
„Einerseits sollen die Aspirant*innen autonom forschen und einen eigenständigen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs über einen spezifischen Gegenstand innerhalb ihrer Disziplin leisten; andererseits und zugleich sind sie noch keine ‚fertigen‘ Forschenden und bedürfen der Betreuung“, schreibt Roman Felde.
Eine bislang unbeantwortete Fragestellung mit der er sich in seiner Studie beschäftigt, ist daher: Wie genau wird in welchen Betreuungssettings mit der angesprochenen, widersprüchlichen Spannung zwischen Autonomiezumutung und der Unterstellung der Betreuungsbedürftigkeit situativ umgegangen?
Leistungsdarstellung
Mithilfe der Analyse konnte ebenfalls gezeigt werden, wie in einer bestimmten Betreuungssituation nicht nur Leistungserwartungen gegenüber den Promovierenden zum Tragen kommen, sondern auch die Betreuungspersonen in der Interaktion gefordert werden. Bei den Betreuungspersonen ließ sich eine Form der Leistungsdarstellung durch die Sichtbarmachung der eigenen Betreuungsexpertise ausmachen.
„Es hat sich besonders gezeigt, dass die Betreuer*innen und Begleitungen selbst dazu angehalten sind, ihre Expertise sichtbar zu machen, indem sie ihr eigenes Wissen herausstellen oder die Gesprächsstrukturierung für sich selbst nutzbar machen“, hält Linda Maack fest.
Durch die herausgearbeitete Leistungsanforderungen auf beiden Akteursseiten, welche auch durch klare Ziel- und Zeitvorgaben gerahmt sind, weist die Betreuungssituation Kolloquium vermehrt Parallelen zu Projekttreffen auf. Diese Erkenntnis schließt an bereits geführte Diskussionen an, bei denen die zunehmende „Projektförmigkeit“ der Promotion verhandelt wird.
Sammelband „Die Situation(en) der Promotionsbetreuung“
Die Ergebnisse werden in einem gemeinsamen Sammelband in der Buchreihe „Wissenschaft – Hochschule – Bildung“ im Springer VS Verlag Anfang 2022 veröffentlicht: